Das gigantische Völkerschlachtsdenkmal, das Gohliser Schlösschen, das Schillerhaus, das „runde Eck“ der Stasi, das „neue“ Rathaus oder die moderne Trinitatiskirche gegenüber – Leipzig ist eine imposante Stadt. Nahezu 600.000 Einwohner, darunter viele Studenten, zeugen vom pulsierenden Leben. Für fünf Tage bin ich bis zum aktuellen Wahltag in die Sachsen-Metropole eingetaucht und habe Privates mit Geschäftlichem verbunden. Denn auch beruflich habe ich etliche Bezüge hierher. So fällt auf, dass der Osten in etlichen Bereichen führend ist und speziell Leipzig eine multi-ethnische Stadt ist, in der nicht nur viele Westdeutsche zugezogen sind, sondern auch andere EU-Bürger, Asiaten, Araber und Schwarze.
Besonders verbunden mit der Stadt und ihrer kulturellen Leistung 1989 habe ich mich in der Nikolaikirche gefühlt, deren damaligen Pfarrer Christian Führer ich zweimal persönlich erleben durfte. Welche Kraft, welcher Mut und welches Gottvertrauen von den tüchtigen Sachsen ausging, kann nur erahnen, wer die Diktatur der DDR erlebt hat. So war und bin ich fasziniert von den Zeugnissen dieser friedlichen Revolution, etwa an einer Hauswand am Bahnhof. Beeindruckt bin ich auch von der restaurierten Bausubstanz der Stadtwohnungen mit ihren drei Meter hohen Geschossen, von denen viele nach der Wende auch Balkons bekamen.
Ein Wermutstropfen aber, der auch den Hang zur AfD verständlich macht, sind die Eigentumsverhältnisse: 80 Prozent aller Immobilien sind in westdeutscher Hand oder gehören anderen Nationen wie etwa Schweizern. So wird auch deutlich, warum der Osten vielfach hinterherhinkt: Abschöpfen tun vielfach noch die Wessis. Auch in der Wirtschaft, wo heimische Unternehmen oft Filialen westlicher Betriebe sind. Umso mehr haben mich die Freundlichkeit und Offenheit der Einheimischen beeindruckt, wenngleich deren Humor und Wortwitz für mich als Schwabe auf Anhieb gelegentlich nicht erkennbar ist.
Und weil ich bei Temperaturen von 32 Grad auch viel nackte Haut sah, sah ich soviele Tätowierungen wie noch nie in meinem Leben zuvor. Fast meinte ich schon, derlei Gravuren seien Pflicht für jeden aufrechten Sachsen. Meine persönliche Erklärung: Da derlei Symbole und Schriftzüge ein Sinnbild für Individualität und Freiheit sind, tragen die von der DDR geprägten Menschen ihre neu gewonnenen Werte quasi zur Schau. Vielleicht auch, weil diese Pigmentierungen für wenige hundert Euro und viel Schmerz dauerhaft die ökonomische Begrenzung geradezu übertünchen. Wie gesagt, meine Projektion und Spekulation.
Besonders gelungen schien mir der Abschied am Sonntag mit einem Festgottesdienst in der Propsteikirche Trinitatis. Interessanterweise sah ich in der sehr gut besuchten Zentralkirche von Leipzig, die wegen ihrer vermeintlich nicht-kirchlichen Optik vereinzelt kritisiert wird, überhaupt keine Tätowierten. Vielleicht wissen diese Besucher ohnehin, dass sie in höchstem Maße individuell und von Gott geliebt sind. Besonders fielen mir die vielen jungen Leute und Paare auf sowie die vielen Ethnien und Hautfarben. Und dass eine erwachsene Frau Taufe und Erstkommunion feierte, scheint mir signifikant für den Osten, wo Menschen sich eher bewusst und aktiv für den Glauben entscheiden.
Auch der Priester beeindruckte mich in seiner Würde und Menschenfreundlichkeit. Er predigte über das Lukas-Gleichnis, in dem ein Gast zur Hochzeit kommt, sich den besten Platz wählt und vom Gastgeber verwiesen wird, weil ein wichtigerer Gast kommt. So ging es in der Predigt darum, für sich selbst im Leben den richtigen Platz zu wählen. Und alle Plätze seien gleichwertig, sofern jeder seinen Platz gefunden hat, ganz unabhängig von Hierarchien und Honorierung. Und spannend, bezogen auf den Wahltag in Sachsen, sei, wenn sich mehrere Kandidaten für einen Platz bewerben, nämlich den des Ministerpräsidenten. Sachsen, tolles Land: Ich komme wieder.