Das ZEIT Magazin 34/2019 hat sich mit dem Phänomen befasst, dass kleine Kinder Baggerführer, Krankenschwester, Müllmann, Erzieherin oder Feuerwehrmann werden wollen, in diesen dringend benötigten Berufen als Erwachsene aber in den seltensten Fällen ankommen. Das hat zwei Gründe, die eng miteinander zusammenhängen: Die Erziehung und die Bezahlung.
Denn spätestens in der Grundschulzeit heißen Motivationssätze demnach immer wieder: „Wenn Du Dir in der Schule keine Mühe gibst, muss Du Bäcker werden und morgens sehr früh aufstehen.“ Damit werden sinnvolle Berufe wie Bäckereifachverkäuferin, Polizist oder Lokführer, die Kinder in ihrem Alltag erleben oder aus Bilderbüchern kennen, abgewertet als etwas Schlechtes, als eine Zumutung.
Die Folge: Die Kinder „gehen ins Marketing“, machen etwas „in der Finanzbranche“ oder „mit Digitalisierung“. David Graeber, Ethnologe an der London School of Economics, hat 2018 das Buch „Bullshit-Jobs“ veröffentlicht. Darin stellt der „linke Vordenker“, so das ZEIT Magazin, die These auf, viele der Tätigkeiten, die im boomenden Verwaltungs-, Finanz-, IT- und Beratungssektor anfallen, seien so unnötig, dass sogar die Beschäftigten selbst die Existenz ihrer Stellen kaum rechtfertigen könnten.
Die Gründe: Menschen sind in Gremien, über deren Abschaffung sie diskutieren, die natürlich nie kommt. Verwalter füllen Formulare aus – oder lassen ausfüllen -, die nie gelesen oder gar ausgewertet werden. Erst am Freitag erzählte mir ein Angestellter wieder, er müsse noch das Protokoll einer Sitzung anfertigen, die schon drei Wochen her sei. Er habe keinen Bock darauf, niemand warte darauf, aber das Prozessmanagement erwarte das. Sonst könne man ihn wegen Arbeitsverweigerung belangen.
Viele dieser Jobs funktionieren auf der Basis: Sinn machen sie keinen, aber ich werde dafür bezahlt und keinesfalls darf ich eine Angriffsfläche bieten. Und weil die Leute in hierarchischen (oder gleichgültigen) Strukturen arbeiten, regt sich auch kein Widerstand. So werden auch stundenlang Power-Point-Präsentationen von ganzen Teams vorbereitet, die aber nie gehalten werden, weil am Ende die Zeit fehlt oder der Chef vorgibt, man möge in zwei Sätzen zusammenfassen, was zu sagen sei.
Das ZEIT Magazin zitiert eine US-Studie von 2016, wonach Büroangestellte schätzen, der produktive Anteil ihrer Arbeit liege bei einem guten Drittel – Tendenz sinkend. Und in England antworteten demnach 37 Prozent klar mit „Nein“ auf die Frage, ob ihre Arbeit einen sinnvollen Beitrag zur Welt leiste. Aber all diese Private-Equity-Manager, Marketingexperten oder Versicherungsfachleute, die teils komplett überflüssig sind (oder werden), verdienen ein Vielfaches von Gärtnern, Altenpflegern oder Maurern.
Ohne das Handwerk kollabiert unser Land. Ohne die „Bullshit-Jobs“ nicht. Dass erstere dennoch kaum mehr ihre Mieten bezahlen können, ist nicht nur eine Schande. Es zeigt, wie krank unser marktwirtschaftliches System ist. Demnach ist das Verhältnis von DAX-Vorstandsgehalt von Werker in einem solchen Unternehmen binnen 20 Jahren von 1:34 auf 1:62 gestiegen. Aber wir labern in der Steuerdebatte weiter und diskutieren Fachkräftemangel.