Im Schnitt besuchen jährlich rund 730.000 Interessierte den 2014 eröffneten und gut 10.000 Hektar großen Nationalpark Schwarzwald. Am Freitag referierte dessen Leiter, der promovierte Biologe Wolfgang Schlund, im Rahmen der BUND-Kreis-Mitgliederversammlung über das Verwilderungs-Projekt der seit 2011 grün-geführten Landesregierung.
„Nichts zu tun, fällt uns Menschen extrem schwer,“ sagt Schlund, der 2014 mit 40 Mitarbeitern die Arbeit aufgenommen hatte und heute 137 Ranger, Waldarbeiter, Jäger, Wissenschaftler, Verwaltungsmitarbeiter und Servicekräfte beschäftigt. Sein Fazit nach einer Dekade: „Die Natur und deren Populationen haben sich bereits stärker regeneriert als wir das zu hoffen wagten.“
Vorausgegangen seien heftige politische Kontroversen, weil der Schwarzwald seit Jahrhunderten Wirtschaftsraum für Waldbesitzer, Sägewerks- und Skiliftbetreiber, Gastronomen, Pilze- und Beerensammler sowie Jäger und viele andere Nutzer bis hin zu Wanderern, Joggern und Mountainbikern war und ist. Sie alle hätten um ihre Vorteile gefürchtet und sich politisch artikuliert.
Die Folge: Der Nationalpark ist als Stabsstelle direkt bei der Landesregierung angesiedelt und wird von einem Nationalparkrat kontrolliert, der paritätisch aus Vertretern von Land und Region vertreten ist. Dessen Vorsitz hat der Landrat. Mehr noch: Ein Beirat, den Vertreter aus Wirtschaft, Umweltschutz etc. bis hin zu Kirchen bilden, bindet möglichst breit alle gesellschaftlichen Kreise in das Parkgeschehen ein.
Schlund, der sich diesen Montag (15.04.) in der Gemeinde Hundsbach erwarteten 800 Sympathisanten einer Bürgerinitiative gegen die Erweiterung des Nationalparks um 2900 Hektar in deren Gemeindehalle stellt, vor den 40 Zuhörern in Miedelsbach: „Die politischen Abstimmungsprozesse in unseren Gremien sind sehr anstrengend, aber wenn Beschlüsse gefallen sind, ziehen alle mit.“
So sollen die Hundsbacher, deren Flächen die beiden Nationalparkzonen noch trennen, ihren Wald gegen einen vergleichbaren Staatswald außerhalb tauschen, um das Gebiet zu verbinden, zu vergrößern und vor allem die Kernzonen, in denen sich Wölfe, Luchse oder die vom Aussterben bedrohten Auerhühner und Kreuzottern zurückziehen können, deutlich zu vergrößern.
Zum Vergleich: Bislang umfasst der Nationalpark 0,36 % der Fläche Baden-Württembergs und nur 1,66 % der Fläche des Schwarzwaldes. Vor diesem Hintergrund scheint die Aufregung in Abwägung des Nutzens – Stichwort Biodiversität und Artenschutz – geradezu lächerlich. Auch haben die vergangenen zehn Jahre gezeigt, so der Referent am Freitag, dass sämtliche Befürchtungen des ökonomischen Niedergangs nicht eingetroffen seien. Im Gegenteil.
Gastronomie, Tourismus und Einzelhandel profitieren von der Attraktivität des Nationalparks. Und im ÖPNV wurden vier Regio-Buslinien geschaffen, die nicht nur die Besucher im Stundentakt umweltverträglich her- und wegbringen, sondern auch den ländlichen Raum verkehrstechnisch optimal anbinden und damit die Immobilien „im Hinterland“ aufwerten, da die für Pendler attraktiv werden.
Im Kern geht es aber um das Wohl von Vegetation und Population, wofür der Park drei Zonen umfasst: Eine äußere Managementzone, in der der Mensch noch massiv eingreift; eine mittlere Entwicklungszone, in der er sich bereits zurückhält und bspw. Waldwege zurückbaut und mit Schafen Freiflächen beweidet; und eine innere Kernzone, der sich der Mensch fernhält und die komplett sich selbst überlassen bleibt. Hatte sich diese Kernzone 2014 erst über ein Viertel der Fläche erstreckt, sind es mittlerweile 51 %, während die äußere Zone stabil bei 25 % bleibt.
Dazu gehört etwa ein 500 Meter breiter Streifen, der den Übergang zu den bewirtschafteten Wäldern bildet. Hier wird der Borkenkäfer, der in der Kernzone 300 Fressfeinde von Moosen bis zu Vögeln hat, massiv bekämpft, damit er nicht die kommerziellen Flächen gefährdet. Ähnlich verhält es sich mit den drei Berufsjägern, die in dieser Zone die Population geringhalten. Im Inneren des Parks erledigen dies seit 2018 zwei Wölfe und seit 2020 ein Luchs. Schlund hofft, dass sich diese Wildtiere bald vermehren, damit sich der natürliche Kreislauf von Werden und Vergehen wieder einspielt.
Den Auerhahn zu retten, sei angesichts von aktuell noch 60 Hähnen auf dem gesamten Terrain vermutlich zu spät. Dessen Niedergang hätte der Mensch schon in den 1960er Jahren besiegelt durch Jagd und vor allem Zersiedelung der Wälder, in denen u.a. dieser imposante Vogel gigantische Rückzugsgebiete und waldfreie Flächen braucht, die warm und trocken sind, damit die Kücken überleben, die sich von Insekten ernähren.
Wie aus einer anderen Welt mutete Schlunds einstündiger Vortrag immer wieder an, wenn er die Zusammenhänge zwischen Tierarten, Klima, Vegetation u.v.m. sichtbar machte und dem die (selbst-)zerstörerischen Interessen der Menschen gegenüberstellte. So querten nicht Tiere eine Straße, sondern eine Straße zerteile den sensiblen Lebensraum hoch komplexer Tierarten. Für all diese Zusammenhänge und die Kostbarkeit dieser Schöpfung schärfte der Redner den Blick, was im Anschluss zu vielen Fragen und konsumkritischen Anmerkungen führte.