„Das Leben ist wie ein Bücherregal, das immer voller wird. Und aus diesen Ressourcen schöpfe ich zunehmend mehr,“ sagt Nikola Sofranac. Kürzlich hat der 30-jährige Göppinger, der mit seinem Song „Deine Lippen“ 2018 vorgelegt hatte, den Titel „Netflix & Chillz“ nachgeschoben. Darin wirbt der Artist, Komponist und Produzent, den ich als besten Freund meines Stiefsohnes während deren Schulzeit kennen- und schätzengelernt habe, für Gelassenheit in der Partnerschaft. Die Pandemie aber hat den Musikunternehmer und Kopf der Eventband „Ncognito“ massiv getroffen. Seine Kritik: „Die Politik nimmt uns Künstler als Teil der Wertschöpfungskette nicht ernst.“
Der Absolvent des Freihof-Gymnasiums mit montenegrinischem Pass: „Der Staat schenkt mir 1000 Euro im Monat und ignoriert, dass er mir damit 60.000 Euro Umsatz nimmt.“ Denn längst hängen an dem einstigen Schülersprecher des Freihof-Gymnasiums, der als Fünfjähriger mit dem Gitarre spielen begann und bereits als 20-Jähriger die Bühnen bei Stadtfesten rockte, Techniker, Musiker, Bandmitglieder, Eventmanager und andere Dienstleister.
Mit Leidenschaft, Disziplin und Talent hat sich das mittlere von drei Geschwistern in der schwierigen Musikbranche hochgearbeitet und durchgesetzt. „Während Gleichaltrige an den Wochenenden kleine Vermögen für Eintritte, Alkohol, Drogen und Klamotten ausgeben, stehe ich seit zwölf Jahren auf der Bühne und verdiene das Geld, das ich unter der Woche zum Leben brauche,“ gewährt Sofranac Einblick in seine Selbstständigkeit.
Ein VWL-Studium hat der smarte Musiker mit der rockig-charakteristischen Stimme nach drei Semestern geschmissen, um sich komplett der Musik zu widmen, weitere Instrumente wie Klavier und Schlagzeug autodidaktisch beizubringen sowie das Produzieren von Musik. „Ich spiele etliche Instrumente, davon einige virtuos, aber alle gut genug, um die Qualitäten eines Musikers und die Möglichkeiten eines Instruments beurteilen zu können,“ sagt der ehrgeizige Produzent. Denn wenn ein Partner meint, „das geht nicht“, unterstellt der detailversessene Visionär zunächst eher Bequemlichkeit.
Die Gitarre dient Nikola, Melodiesequenzen oder Textfragmente im Kopf weiter zu entfalten und zu dokumentieren. Das Keyboard ermöglicht in der Vorproduktion diverse Instrumente wie Streicher, Bläser oder andere virtuelle Instrumente einzuspielen, um mit verschiedenen Sounds zu experimentieren. Und die Drums stehen für den Beat, Tempiwechsel und den Groove. In seinem Studio mischt der Künstler all diese Facetten zusammen, bis er den gewollten Sound und die gewünschten Überraschungseffekte beisammenhat. In einem konkreten Fall ließ Nikola ein Streicherquartett des Stuttgarter Staatsorchesters in seinem Wohnzimmer einen Titel einspielen.
Und wie sich der 30-Jährige vom Musiker zum Produzenten weiterentwickelt hat, hat er es auch mit dem Management gemacht. Der Selfmademan: „Ein Manager, der mir alles verspricht, wenig hält, mir 1000 Verpflichtungen auferlegt und mir das finanzielle Risiko doch an allem aufbürdet, den brauche ich nicht.“ Die Musikbranche sei ein Haifischbecken, in dem viele insbesondere unerfahrene Künstler abzocken, so seine Erfahrung. Dem setzt der Gefühlsmensch Nikola seine Werte entgegen: Er versteht die Szene als große Familie, in der man in der Sache hart streitet, aber füreinander einsteht und sich am Erfolg des anderen freut.
Als Beleg dient ihm seine Band „Ncognito“, die sich aus Profis zusammensetze, die bereits mit Genesis, Andreas Burani und anderen Künstlern ausverkaufte Stadien bespielt haben oder bei Voice of Germany im Fernsehen auftreten. Im Schnitt 30 Auftritte pro Jahr bestreitet er in dieser Formation. Bei Firmenevents kann ein solcher Gig auch 60.000 Euro kosten, weil der Kunde vom Bühnenaufbau über die Technik bis zu DJ oder Partyzelt bei dem Göppinger alles aus einer Hand bekommt. Dafür besichtigt Sofranac vor Ort die Location, berät bezüglich Raumgestaltung und Ablauf, macht Angebote, koordiniert die Dienstleister und rechnet mit allen Beteiligten ab.
Diese Erlöse investiert der Künstler, der als Solist ab 1000 Euro zu haben ist, in seine eigenen Produktionen, etwa das aufwändige Musikvideo zu „Deine Lippen“ auf Mallorca inklusive Luftaufnahmen, oder Nachwuchskünstler, die er berät, deren Musik er einspielt, aufnimmt und mischt. Aktuell sind dies drei Solisten sowie die Göppinger Band Kolik, die in der Türkei große Erfolge feiert sowie in der deutsch-türkischen Partyszene.
Anklänge an deren orientalischen Sound erkennt der aufmerksame Zuhörer auch in Nikolas beatlastigen Songs, in die er dezent Elemente und Instrumente einbaut, die auf seine Wurzeln auf dem Balkan zurückzuführen sind. Sein urbaner Sound ist inspiriert von US-amerikanischen Hip-Hop-Größen wie 2Pac, Timbaland und Dr. Der; aber auch seiner Liebe zu Rock, Blues und Popmusik. In seinen deutschen Texten verarbeitet er Erfahrungen aus seinem Alltag, wobei die große Klammer „Liebe“ heißen könnte: Da geht es mal um die große Liebe („Deine Lippen“), verschmähte Liebe, Eifersucht („Netflix & Chillz“), aber auch Leidenschaft für Heimat, Werte wie Freiheit oder Individualität.
Und weil im Digitalzeitalter Musik überwiegend gestreamt wird, ist auch Nikolas Fangemeinde gut identifizierbar: Zu 55 Prozent Frauen, im Gros 20 bis 30 Jahre alt, eher gebildet und tendenziell mit Migrationshintergrund. Kein Wunder: Die Texte sind anspruchsvoll und der Sänger ein ausgeprägter Individualist.