„Alte Verletzungen anschauen und heilen“, „Mein Verhältnis zu Macht, Erfolg und Geld“ oder „Die Beziehung zu meinem Vater“. Es war egal, wie die gut zweistündigen Vormittags-Workshops hießen. Mit bis zu 20 Männern ausgebucht waren sie beim 37. bundesweiten Männertreffen auf Burg Ludwigstein über Christi Himmelfahrt an allen drei Tagen. Und zweimal gingen sie nachmittags auch in dreistündige Verlängerungen, um Männern gerecht zu werden.
Im Chat von Man Kind Project, wo ich seit 2013 Mitglied bin, hatte ein Teilnehmer das Männertreffen im Juni 2018 empfohlen. Dessen Wurzeln lagen vor 37 Jahren in der Schwulen-Bewegung. Und weil ich außerhalb meines MKP-Vereins Erfahrungen sammeln und mich als Männer-Coach zeigen wollte, meldete ich mich sofort für das diesjährige Treffen an und hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde. Mein Anspruch: Einen Workshop anbieten, für den sich wenigstens sechs, sieben von 200 Männern interessieren würden. Und als Mann der Tat hängte ich mein Angebot bereits nach der Anreise mittwochs für den Donnerstag von 10 bis 12 Uhr an das Schwarze Brett.
Hatten sich auf der Liste bis Donnerstag früh fünf Männer eingetragen, staunte ich nicht schlecht, als ich nach dem Plenum mit 20 Männern im Stuhlkreis saß. Diese instruierte ich, dass wir nun therapeutisch arbeiten würden, weshalb alles Besprochene und Erlebte diesen Raum nicht verlassen dürfe und alles freiwillig sei, wenn ich Männer etwas fragte oder zu einem Experiment einlüde. Jeder sei gefordert, seine eigene Grenze zu spüren und einzuhalten, damit nicht ich für ihn sorgen muss. Das sei bereits die erste Übung: Achtsamkeit mit sich selbst.
Denn hier gebe es nicht richtig oder falsch, sondern nur echt oder unecht. In einer ersten Runde sollte nun jeder seinen Namen und zwei präsente Gefühle benennen. Schon hier intervenierte ich immer wieder, wenn ein Mann statt eines Gefühls seinen Zustand beschrieb, z.B. müde, oder als Gefühl „gespannte Erwartung“ nannte und ich nachhakte, ob das Gefühl darunter eher Neugierde im Sinn von Vorfreude sei oder Anspannung im Sinn von Angst, was hier passieren könne.
Auch thematisierte ich sofort Störungen in der Gruppe, damit sich Spekulation in Sicherheit verwandelt. Diese straffe Führung befremdete zwar manchen Teilnehmer zunächst, etwa solche, die mit Autoritäten in der Kindheit schlechte Erfahrungen gemacht haben, sie schützt aber auch Männer, die sich in der Runde zeigen und öffnen wollen, weil Format und Rahmen klar sind. In der Männerarbeit sprechen wir vom „sicheren Container“, der – vergleichbar einem Labor – den Teilnehmern erlaubt, sich hier verletzlich zu zeigen und Experimente zu machen. Für den Schüchternen kann das heißen, hier als einer der Ersten das Wort zu ergreifen, oder für den Siegertyp, hier von seinen Verletzungen zu sprechen.
In einer zweiten Runde gab ich jedem Mann zwei Minuten, über Licht (was läuft derzeit gut) und Schatten (was nicht) in seinem Leben zu sprechen. Nach 90 Sekunden hob ich je die Hand, damit der Sprecher merkt, dass er zum Ende kommen muss und bat ihn, ein Thema zu benennen, das er sich gerne anschauen würde. Auf einer Skala von Null (unwichtig) bis zehn (wichtig) lud ich abschließend den Mann ein, die Dringlichkeit seines Anliegens zu beziffern.
Dass von 20 Männern acht die Ziffer zehn gewählt hatten, sprach einerseits für das Vertrauen in das Format, belegt aber auch die Qualität der Teilnehmer auf solchen Veranstaltungen: Diese Männer sind reflektiert, kennen ihre „wunden Punkte“ oder „blinden Flecken“, eiern nicht mehr herum und wollen sich verändern. Schon die Klärung, wer von den acht Männern als erster arbeitet, war für das Gros im Stuhlkreis ein Highlight. Denn es geht nicht um Macht, sondern um Achtsamkeit, Befindlichkeit, Fremd- und Selbstwahrnehmung. Und auch hier spiegelte ich vielen Männern, was sie mit sich und anderen machen, wenn es um die Durchsetzung eigener Interessen geht – oder den Verzicht darauf.
Am Nachmittag arbeitete der erste Mann und spätestens ab da empfahlen sich die Teilnehmer auf der Burg den gestalttherapeutischen Workshop gegenseitig weiter, weshalb er quasi wie ein Selbstläufer über alle Tage weiterlief und mich energetisch an meine Grenzen brachte. Denn das viele Leid und die Beschämungen, die Männer oft über Jahrzehnte mit sich tragen, kamen hier dutzendfach aus dem Schatten ans Licht. Zugleich war ich tief berührt, welches Vertrauen und welche Wertschätzung mir die rund 40 Männer entgegengebracht haben, mit denen ich auf Burg Ludwigstein in insgesamt rund zwölf Stunden arbeiten durfte.