Ende der Scham: Simon Schäfer geht mit seiner Geschichte in die mediale Öffentlichkeit.

Mein gestalttherapeutisches Präsenz-Wochenende für Männer zum Thema „Totales Scheitern“ im September 2020 in Kloster Schöntal in Hohenlohe war ziemlich schnell ausgebucht. Ich war zuvor diesbzgl. skeptisch, nachdem es eine Premiere war und es dazu keine Erfahrungswerte gab. Aber der Veranstalter wollte unbedingt dieses Thema, nachdem ich dieses als grundsätzliche Option mal erwähnt hatte.

Via Google und Internet war auch Simon Schäfer aus Münster auf mein Angebot gestoßen und der 39-Jährige war vom Titel offenbar regelrecht elektrisiert. Da er vor einem Monat mit seiner Geschichte in die „Westfälischen Nachrichten“ ging und darüber auch in seinem Blog schrieb, darf auch ich über meinen Kursteilnehmer mit der faszinierenden Biographie schreiben.

Geboren bei Koblenz, hat er ein Abitur mit 1,1 gemacht und hat zwei promovierte Schwestern, die beruflich sehr erfolgreich sind. Der jüngere Bruder studiert in Passau Kulturwirtschaft und schließt das Studium mit Diplom ab. Der Katholik spürt eine Berufung, sehnt sich nach Gemeinschaft und schließt sich deshalb dem Jesuiten-Orden in Frankfurt an. Doch nach sechs Monaten tritt er wieder aus, vor allem, weil ihn in der Stille regelrechte Panik erfasst.

Er bewirbt sich 2008 für ein Volontariat bei der Financial Times Deutschland und wird genommen. Schon die zwei Jahre Ausbildung stressen ihn, weil ihn der tägliche Redaktionsdruck regelmäßig unter Druck setzt. Immer wieder gerät der Volontär in Panik, ihm könne zum Schreiben nach Pressekonferenzen nichts einfallen. Er schließt das Volontariat ab und kann befristet noch eine Vertretung machen. Als diese ausläuft, erlebt er das Ende wie eine Befreiung und sehnt sich nach vielen Jahren der Disziplin nach Urlaub.

Aus diesem Leerlauf kommt Schäfer allerdings nicht mehr heraus. Und als seine Rücklagen aufgebraucht sind und er die Miete nicht mehr zahlen kann, packt er seinen Rucksack und lebt ein halbes Jahr auf der Straße. Als er wahrnimmt, wie die Obdachlosigkeit viele unglückliche Existenzen in die Sucht treibt, ist das so abschreckend für ihn, dass er zu seinen Eltern in die Provinz zurückkehrt und wieder sein Jugendzimmer in deren Keller bewohnt.

Dort vergräbt sich der junge Mann regelrecht und weicht dem Leben und seinen existenziellen Fragen aus. Als sich die Eltern nicht mehr anders zu helfen wissen, rufen sie die Polizei und lassen ihren Sohn in die Psychiatrie zwangseinweisen. Dort verbringt er mehr als ein halbes Jahr und geht danach gut ein Jahr in eine medizinische Reha, bis man für ihn in der Behinderten-Einrichtung „Guter Hirte“ in Münster einen Platz in einer Außen-Wohngruppe findet. Hier kommt er zur Ruhe, weil er als offiziell psychisch Kranker auch selbst keine Erwartungen mehr an sich hat. Die Arbeit in einer Holzwerkstatt weckt in ihm wieder die Lust auf das Leben.

In dieser Situation kam Simon im September 2020 in meinen Kurs, wo er mit seiner Offenheit und Verletzlichkeit die Herzen aller anderen Kursteilnehmer binnen 24 Stunden „eroberte“. Dort waren Männer, die durch Insolvenz ihre Firma, ihren Wohlstand und ihre Familie verloren hatten; beruflich erfolgreiche Männer, die seit der Scheidung der Eltern im Jugendalter eine tiefe Traurigkeit in sich trugen; oder Manager, die mit Panikattacken kämpfen, wenn sie vor 100 Führungskräften sprechen oder ihrem Vorstand berichten sollen.

An diesem Wochenende im September hat Simon wohl wieder Boden unter die Füße bekommen und seither haben wir den Kontakt gehalten: Er hat an Selbstbewußtsein und Klarheit zugelegt, arbeitet seine Biographie auf und kommt immer mehr in seine Kraft. Aktuell bewirbt er sich um ein Praktikum in einer Schreinerei. Danach würde er gerne eine Schreinerlehre machen, den „Guten Hirten“ verlassen und wieder auf eigenen Beinen stehen. Die Chancen stehen gut.

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