Dass organisierte Männerarbeit immer noch oft als Angriff auf Frauen mißverstanden wird, wurde beim Festakt für 20 Jahre Arbeitskreis Männerberatung am Mittwoch im Stuttgarter Generationenhaus deutlich. „Die Polarisierung, die 1999 bei der Gründung noch zum Greifen war, hat sich zumindest relativiert,“ sagt Stuttgarts Gleichstellungsbeauftragte Ursula Matschke im Beisein etlicher Stadträte, die auch Männerarbeit fördern.
2018 habe erstmals ein Männertag innerhalb der Stadtverwaltung mit 100 Teilnehmern stattgefunden, die dafür von der Arbeit freigestellt wurden. Leider habe es dagegen Widerstand seitens der weiblichen Belegschaft gegeben, sagt die promovierte Politikwissenschaftlerin, die ergänzt: „Ein Geschlecht allein kann unsere Gesellschaft nicht retten.“ Gut sei, dass sie ab September einen Kollegen bekäme, denn immer mehr Beschäftigte beklagten sich bspw. über Rassismus am Arbeitsplatz.
Matschke: „Ob das Phänomen zugenommen hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber immer mehr integrierte Migranten sind nicht mehr bereit, diese Angriffe zu ertragen.“ 2020 finde zum Beispiel zum vierten Mal der städtische Diversity-Kongress statt, bei dem es um Gesundheit, Behinderung oder Altersdiskriminierung gehe. Die Gleichstellungsbeauftragte diagnostiziert vor den 50 Gästen ein „strukturelles Problem, zu dem vermehrt Mobbing gehört.“
Die Gründungsgeschichte skizziert Thomas Pfaff von Pro Familia. Demnach gab damals die Politik vor, dass sich einzelne Träger besser abstimmen sollten, etwa mit dem städtischen Jugendamt zum Beispiel im Kontext sexuellen Missbrauchs. Die Gründerszene sei von Psychologen, Sozialarbeitern und Pädagogen geprägt gewesen und Themen waren Prävention und Sozialberatung. Heute differenziere sich die Szene immer weiter aus etwa Richtung Transsexuelle oder schwule Männer.
Auch Pfaff erinnert daran, dass seitens der Frauen die Vernetzung der Männer kritisch gesehen worden sei. Es könne gegen die Frauen gehen oder Fördergelder umgeschichtet werden. Fast reflexartig sei erwartet worden, sich von Pädophilie zu distanzieren. Oder das Verstehen von Sexual- und Gewalttätern sei als verharmlosend diskreditiert worden. Diese Atmosphäre sei schwierig gewesen und extra Budgets habe es nie gegeben.
„Männer leiden auch unter patriarchalischen Strukturen“, sucht Pfaff den Konsens mit den Frauen. Sie seien überproportional von Aggression oder Sucht betroffen und 85 Prozent aller ADHS-Diagnosen bekämen Jungs, die zudem als problematisch, schwierig und nicht therapierbar stigmatisiert würden. „Prävention und Gewalttherapie zeigen messbar Wirkung,“ sagt der Referent und verweist auf Vertreter von Polizei, Justiz, Amt für öffentliche Ordnung oder Bewährungshilfe im Auditorium.
„Kinder sind immer Opfer, Väter aber nicht immer Täter,“ räumt Pfaff ein Klischee bei Seite. In der Männerarbeit gehe es um Verantwortlichkeit und (Opfer-)Empathie. Eine Ursache des Rechtsradikalismus könne die vaterlose Gesellschaft sein, in der viele Jungs ohne männliche Vorbilder aufwachsen. Welchen Anteil daran die Mütter haben, lässt er offen. Ein wichtiges Feld aber sei die Sexualpädagogik.
„Männer gehen mit Erfahrungen anders um als Frauen,“ sagt Georg Zwingmann, der den Festvortrag hält über „Männer in Beratung“. Der Sozialarbeiter und systemische Berater hat 40 Jahre im Jugendamt der Stadt Stuttgart gearbeitet und ist dieses Frühjahr in Ruhestand. Die Gewalt nehme aktuell zu, weil Aggression bei Männern ein erlerntes Muster der Bewältigungsstrategie sei. Der Grund: Männer sind auf Außen bezogen und haben oft keinen Selbstbezug, der sie Gefühle wie Angst oder Trauer spüren lässt. „Aktionismus gilt als Handlungskompetenz“, so Zwingmann. Männer hätten zudem keine Sprache für ihre Befindlichkeit und suchten Lösungen auf der Sach- statt der Beziehungsebene.
Im Anschluss kommen die Gäste, darunter ich, um mein Netzwerk in die Männerszene des Landes breiter zu spannen, bei Imbiss und Live-Musik mit den zwölf Vertretern der Arbeitsgemeinschaft ins Gespräch. Das sind zum Beispiel kirchliche Anbieter von psychosozialen Beratungsstellen, Kinderschutzbund, Pro Familia, Jugendamt, Bewährungshilfe oder Vereine für Jungenarbeit.