Mit einem mahnenden Appell zur Energiewende hat Klaus Wiegandt den Festabend beim zweitägigen EHI-Energiekongress in Köln eröffnet, den ich auch jährlich besuche u.a. für die Lebensmittelzeitung. Der Ex-Metro-Vorstand empfahl dringend, unser Wirtschaftssystem kritisch zu hinterfragen. Vor 20 Jahren hat er die Stiftung „Forum für Verantwortung“ gegründet.
Er sei beeindruckt von den Vorträgen des ersten Kongresstages, so Wiegandt, „denn mit der Natur können wir nicht verhandeln.“ Wir könnten nur deren Regeln verstehen lernen. Wenn wir die Biosphäre zerstörten, sei das der Erde egal. Die vergangenen 20 Jahre habe die Menschheit verschlafen und stattdessen ihren CO2-Jahresausstoß von 20 auf 44 Milliarden Tonnen erhöht. Bis 2050 lebten zudem zwei Milliarden Menschen mehr auf dem Planeten und 1,5 Milliarden würden in die konsumfähige Mittelschicht aufsteigen.
„Wir müssen den Pariser Klimavertrag verschärfen,“ appellierte Wiegandt an das Auditorium. Aber das werde zu Massenarbeitslosigkeit führen. Weltweit würden aktuell nur sieben Prozent Energie regenerativ erzeugt. Werde das Klimaziel von maximal zwei Grad bis 2050 überschritten, komme eine Heißphase in Gang, bei der die Tropenwälder versteppen und die Tundra auftaut, so dass Methangas entweiche und die Arktis werde dann im Sommer eisfrei sein.
Experten sagten, dann sei die Erde bis 2100 um acht Grad wärmer. Jedes Grad bedeute eine Billion Liter Wasser, die als Dampf aufsteigen, zitierte Wiegandt Klimaexperten. Ernteausfälle und Kampf um Wasser würden alle unter 40-Jährigen noch erleben, so die Prognose. 350 Milliarden Bäume in den Tropen müssten gepflanzt werden, um zehn Milliarden Tonnen CO2 zu binden. Das zu finanzieren, koste ein Prozent des Weltbruttosozialprodukts. Zum Vergleich: Das 7,5-fache gäben die Regierungen für Rüstung aus. Schon 2017 hätten sich die Klimaschäden laut Versicherer auf 230 Milliarden Euro weltweit belaufen. Nichts tun sei deshalb teurer als handeln.
Die Palmölindustrie mit ihrer Tropenwaldzerstörung emissioniere in Indonesien zwei Milliarden Tonnen CO2. Zum Vergleich: Deutschland trägt 0,9 Mrd. zu diesem Chaos bei. „Ein Stopp würde hier schon viel erreichen,“ so Wiegandt. Die Politiker zögerten trotz der Fakten, obwohl weltweit 180 Mrd. Quadratmeter zur Aufforstung bereitstünden. Er habe mit den Spitzen von CDU und SPD gesprochen und beide hätten ihm versichert, dass sie seine Sicht teilten – aber Wahlen gewinnen müssten.
Sie hätten ihm aufgetragen: „Wiegandt, mobilisieren Sie die Gesellschaft, dann werden wir reagieren.“ Zum Schluss gestand der Grand Seigneur des Einzelhandels, der deshalb seine Stiftung gegründet hat, dass ihn diese Aufgabe überfordere. Deshalb habe er sich mit vier weiteren Stiftungen wie „plants for planet“ zusammengetan und deshalb halte er hier diese Rede.
Und im Stil eines Grünen-Parteitags dankte Wolf Tiedemann Wiegandt für seine Gedanken. Das Mitglied der Geschäftsleitung der Lidl Dienstleistung GmbH & Co. KG in Neckarsulm hatte als Gewinner des Energiemanagement-Awards 2018 das Wort. Die Betroffenheit im Saal aufgreifend, las er den rund 150 Gästen den Brief seiner Kinder vor, die Nachbarn baten, keinen Müll auf die Straße fallen zu lassen.
Diese Stimmung zog sich durch den gesamten Kongress, der zum elften Mal stattfand. Die Referate werden von Jahr zu Jahr philosophischer, die Dringlichkeit zu handeln deutlicher und die Bereitschaft zur Kooperation mit direkten Mitbewerbern konkreter. Doch auch kritische Stimmen werden laut, so etwa Thomas Brüse, Geschäftsführer der Goffin aus Köln, die Umwelttechnologien vertreibt: „Viele Energiemanager bekommen ihre Projekte mangels Priorität und Rentabilität immer noch nicht bewilligt und dann finanziert man sie über das Marketingbudget.“ Oder Roland Mayer, Sales Manager Retail bei Carel Deutschland: „Da werden von Enthusiasten alle Hebel in Bewegung gesetzt, um nachhaltig zu sein, aber die Geschäftsmodelle basieren noch immer auf Wachstum, Konsum und Rendite.“